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Mit 67 Jahren ist lange noch nicht Schluss

Unter dieser Headline hat Werner Mutzel einen Bericht für die Memminger Zeitung verfasst, den wir an dieser Stelle veröffentlichen dürfen.

Georg legt Wert auf ein gepflegtes Äußeres und genießt die Aufmerksamkeit.
Wir berichten über einen Senior der Memminger Feuerwehr

Georg ist 67 Jahre alt und im Grundsatz nicht eitel. Er hat sich sehr gut gehalten und legt großen Wert auf ein gepflegtes Äußeres. Die erwünschte Wirkung bleibt nicht aus, wenn er ankommt, bleiben die Leute stehen oder drehen sich um, bestaunen seine beeindruckende Erscheinung, zücken ihr Handy und fotografieren ihn aus allen Richtungen.
Welcher Mann im fortgeschrittenen Alter würde sich über so viel Aufmerksamkeit nicht freuen?

Doch Georg bleibt bescheiden und genießt im Stillen. Denn Georg hat nicht zwei Beine, sondern vier Räder und trägt auf seinen Schultern die alte Drehleiter der Memminger Feuerwehr.

DL 25 auf dem Memminger Marktplatz
67 Jahre alt ist das historische Drehleiterfahrzeug, das auf den Namen "Georg" hört. Bei einer Ausfahrt machten Theo Bertsch (links) und Rudi Spitz mit ihrem Schützling einen Stop auf dem Memminger Marktplatz.

DL 25 auf dem MarktplatzTreuer Wegbegleiter
Die damals nagelneue und moderne Drehleiter wurde am 3. Oktober 1954 auf dem Marktplatz der Memminger Bevölkerung präsentiert und feierlich in Dienst gestellt.
Der Mercedes-Benz mit einem Aufbau der Firma Metz war 31 Jahre bei unzähligen Bränden und Personenrettungen im Stadtgebiet und im Umland im Einsatz. Namensgeber war der langjährige Feuerwehrkommandant Georg Allgöwer. Heute kümmert sich die „Interessengemeinschaft alter Memminger Feuerwehrfahrzeuge“ um die roten Oldtimer, die noch immer in einem hervorragenden technischen Zustand sind. Auf dem Fahrersitz hat Rudi Spitz Platz genommen, der mit Georg eine Bewegungsfahrt im Stadtgebiet machen wird. Auch Senioren sollen bekanntlich mobil bleiben und sich bewegen. Die deutliche Geräuschkulisse im Fahrzeuginneren ist zunächst etwas ungewohnt, auf sämtliche Innovationen der Fahrzeugtechnik in den letzten Jahrzehnten hat Georg verzichtet. Natürlich hat er auch keine Servolenkung, was im Stadtverkehr durchaus kräfteraubend sein kann. „Daher kommt der Begriff Kraftfahrer“ lacht Rudi Spitz und steuert die alte Drehleiter mühelos durch einige städtische Tore.

Als ob er sein Nest suchen würde, landen wir als nächstes im Hofraum der Feuerwache am Rennweg. Natürlich muss die Funktionsfähigkeit der Leiter geprüft werden. Theo Bertsch, ehemaliger Oberlöschmeister der Memminger Wehr, fährt zunächst vier Stützen für einen sicheren Stand des Fahrzeugs aus. Mit gekonnten Handgriffen bedient er die Steuerung und die 25 Meter lange Leiter wird ohne Probleme zum Schlauchturm hochgefahren. Währenddessen überprüft Gerhard Sollich die SignalanlagenDL 25 im Hof der Memminger Feuerwehr des Oldtimers. Die beiden Blaulichter funktionieren, auch der Kugelwecker zur Warnung anderer Verkehrsteilnehmer vor Kreuzungsbereichen schrillt wie erhofft. Lediglich bei der Tonfolge der Signalhörner fehlt eine Tonlage und muss demnächst repariert werden. Hauptlöschmeister Sollich gilt als „wandelndes Lexikon“ für die technischen Besonderheiten des Memminger historischen Löschzugs, zu dem auch das Tanklöschfahrzeug „Irmi“ und das Löschgruppenfahrzeug „Goliath“ sowie ein VW-Käfer gehören.

Georg bringt 8 Tonnen auf die Waage und hat immerhin 100 PS. Die 5 Gänge können nur mit Zwischengas einlegt werden und damit kommt man auf ebener Fahrbahn bis auf 80 km/h. Georg war die erste voll motorisierte Drehleiter in Memmingen. Der Leitersatz wird mit einem Seilzug ausgezogen und die einzelnen Leiterteile mit Fallhaken gesichert. Rudi Spitz, Theo Bertsch und Gerhard Sollich gehören wie Georg zur „Generation 60 plus X“ und das schafft offenkundig liebevolle Verbundenheit zwischen Mensch und Maschine. Georg ist für sie mehr als ein Oldtimer, denn alle drei „Feuerwehrmänner im Ruhestand“ kennen ihren Schützling noch von zahlreichen Einsätzen im aktiven Dienst.

Damals hatte "Georg" noch wesentlich weniger Jahre auf dem Buckel, beziehungsweise Kilometer auf dem Tacho.
Das Bild zeigt die Drehleiter bei einem Brand in den 1960er Jahren in der Memminger Innenstadt.
Foto: FFW Memmingen

Weiter geht es zum Tanken in den nördlichen Stadtbereich. Beim Abbiegen ist der gelbe Pendel-Winker ein richtiger Hingucker, denn einen Blinker gab es damals noch nicht. An der Tankstelle die nächste Überraschung: der Beifahrer muss seinen Platz räumen, denn unter dem Sitzpolster befindet sich der Tank der alten Drehleiter. „Georg ist heute sehr durstig“ sagt Rudi Spitz und man kann sich ausmalen, dass der Dieselverbrauch grünen Maßstäben nicht mehr ganz gerecht wird. Den wohl ungewöhnlichsten Einsatz, erzählt Theo Bertsch,  hatte Georg in der Basilika in Ottobeuren. Zu Beginn der 1960-er Jahre ersuchte der damalige Abt Vitalis Maier um Unterstützung bei Renovierungsarbeiten an schwer zugänglichen Stellen. Die Memminger Feuerwehr konnte helfen. Kurzerhand wurde vor dem Hauptportal eine Rampe aufgebaut, damit die Drehleiter in das Kirchenschiff einfahren konnte. Dieser einmalige Arbeitseinsatz dauerte mehrere Tage und Georg verblieb in dieser Zeit inmitten der Basilika. Vielleicht ist das der Grund, warum die alte Drehleiter nicht auf dem Schrottplatz gelandet ist und sich bei prächtiger Gesundheit und liebevoller Pflege hoffentlich noch lange ihres irdischen Lebens erfreuen darf.

DL 25 Amaturenbrett

Quelle: Memminger Zeitung – Bericht vom 13.08.2021
            Text und Fotos Werner Mutzel